Im Juni 2021 mache ich mich mit einem Freund auf nach Schwedt. Wir nehmen den Zug von Berlin Richtung Nordosten um die Landschaft hinter der Grenze zu erkunden. Wir wollen eine Bikeraftingtour mit Rad und Packraft unternehmen, die drei Tage dauern wird. Sie führt und von der Deutsch-Polnischen Grenze zum Fluss Myśla (Mietzel), per Boot bis zur Mündung in die Oder um dann vom Oderbruch wieder mit dem Zug nach Berlin zu fahren.
Abseits von Reiseführern und Hochglanzprospekten ist das Land direkt hinter der Grenze recht unbekannt, obwohl man es in gut einer Stunde erreichen kann. Westpommern bietet in dem Sinne auch keine Superlative jedoch kann man kleine Dörfer mit Storchennestern, tiefe Wälder und eben kleine Flüsse finden, die ihren ganz eigenen Reiz haben. Die Route, auf der wir unterwegs sind, hatten wir im Vorfeld auf der Karte auserkoren. Sie sollte uns vom Bahnanschluss in Schwedt direkt zur Einsetzstelle für das Packraft bringen. Wir sind mit Rad und Packraft unterwegs, sodass wir große Strecken zum Fluss und auch zwischendurch überbrücken können.
Die Topografie erlaubt schnelles Vorankommen. Die Straßen sind schön leer. Unsere Route bleibt sowieso meist verborgen auf den Waldwegen und im Hinterland. Nur der märkische Sand verlangsamt uns manchmal. Die erste Nacht verbringen wir auf einem Feld unter Eichen. Es ist warm und extrem moskitolastig, d.h. sobald die Sonne den Abend nicht mehr erleuchtet, muss alles abgedeckt werden, das sich zerstechen lässt. Mein Schlafsetup sieht kein Zelt vor, sondern ein Biwaksack nur aus Moskitonetz. So kann man immer die Sterne beobachten.
An einer Brücke im kleinen Örtchen Dolsk bauen wir die Boote auf und starten die Tour. Nach etwa einer Stunde sind wir soweit, dass alles umgebaut ist und wir auf langsamer Strömung vorwärts gleiten. Weit geht es nicht, ein Baum blockiert den Lauf, sodass umgetragen werden muss. Das Thema Umtragen soll uns noch die gesamte Fahrt beschäftigen. Der Fluss hat wenig Wasser durch trockene Wochen. Wir kommen im Schnitt ein paar hundert Meter vorwärts bis der nächste Hinderungsgrund ein Aussteigen oder ein Wegducken nötig macht.
Das Thema verfolgt uns. Doch wir lassen uns nicht abschrecken. Trotz der Widrigkeiten ist die Strecke unglaublich schön, denn: Wo es kompliziert wird, steigen die meisten aus. Und das ist hier auf der Mietzel der Fall. Der Fluss ist eigentlich völlig ungeeignet für die behütete Paddeltour und dennoch derart reizvoll, dass ich die Tour wieder machen würde. Durch die Abwesenheit von Paddelinfrastruktur kann man wirklich schöne, einsame Abschnitte genießen, es gibt abgelegene Schlafplätze und das Wasser kann auch mit einem Filter getrunken werden. Wir z.B. haben keinerlei Wasser dabei, sondern filtern es aus dem Fluss, etwas, das später in der Oder nicht mehr geht.
Lanschaftlich wechselt der Fluss immer wieder sein Antlitz und fügt sich in eine eiszeitliche Hügellandschaft wunderbar ein. Am zweiten Tag beschließen wir, die Strecke etwas zu beschleunigen und bauen wieder auf Fahrrad um, da die Umtragerei natürlich sehr zeitraubend ist und man teilweise pro Tag nicht mehr als ein paar Kilometer schafft. Dabei bietet sich wieder eine neue Landschaft. Hinter einem Wasserkraftwerk aus frühen Zeiten setzen wir wieder ein und sind erschrocken über den niedrigen Wasserstand. Das Rückhaltebecken hat anscheinend noch den letzten Rest der Mietzel rückgestaut. Weiter unten geht es dann wieder ein wenig besser. Wahrscheinlich schwanken die Wasserstände sehr stark über das Jahr. Die letzten Kilometer vor der Oder sind dann wieder unglaublich schön und verlaufen durch Feuchtwiesen mit schneller werdender Strömung. Auch die Hindernisse sind jetzt nicht mehr so häufig.
Noch nie hatte ich die Deutsch-Polnische Grenze mit dem Packraft überschritten, auch noch nie per Boot. Auf der Oder ist es still, mein Kumpel geht baden, merkt aber schnel, wie schlecht die Wasserqualität ist. Wir versuchen danach noch den Filter im Oderwasser saugen zu lassen, müssen aber alles wegkippen, da das Wasser einfach zu schlecht schmeckt. Die Mietzel war da deutlich wohlschmeckender. Nun war wieder Umbau auf Boot angesagt und dann noch ein schneller Ritt zum Bahnhof um den letzten Zug zu erreichen.