An einer Tankstelle in Thüringen auf dem Bordstein mit dem Kaffee in der Hand morgens um 8 hänge ich am Handy und versuche, die Permits für diese Tour zu buchen. Es klappt. Ich ergattere 4 Permits, die den Zugang zu dieser faszinierenden Welt bedeuten. 3 Monate bevor ich mich morgens um 6 Uhr aus der Heckklappe des Mietwagens rolle, in dem ich die Nacht verbracht habe. Eigentlich sollten wir zu viert sein, aber wie die Umstände so spielen, mache ich die Tour allein. Es geht los.
Die Wüste ist kalt am Morgen, aber ich komme schnell auf Trab. Am Anfang versuche ich noch, die Füße trocken zu halten. Das klappt circa einen Kilometer, danach laufe ich direkt durch. Das soll dann auch 3 Tage so bleiben. Die Füße trocknen erst am Abend im Zelt, wenn man sich zur Ruhe legt und die Eindrücke dieses verwunschenen Canyons Revue passieren lässt.
Ich betrete den Canyon über die Whitehouse Route. Diese leitet einen direkt in den Paria Canyon. Es wird schnell enger und man merkt, dass man eigentlich in einen Berg hineinläuft. Der Paria River ist schlammig und komplett sedimentdurchsetzt, nur schwer als Trinkwasser zu verwenden. Eine Karte zeigt mir Quellen, aber einen Tag Wasser habe ich dabei.
Ziel des ersten Tages ist die Confluence, die Stelle, an der der Paria River mit dem Buckskin Gulch zusammentrifft. Der Buckskin Gulch ist ebenfalls ein Slotcanyon, der sogar noch enger und länger ist.
Ich habe perfektes Wetter und Fluten sind auch nicht angesagt. Wenn es innerhalb von einem 100km Radius regnet herrscht hier Lebensgefahr und es können sogenannte Flashfloods auftreten. Videos im Internet zeigen, wie genau die aussehen. Ich komme schnell voran, 3 Tage sind sportlich für die Tour. Daher habe ich weniger Zeit als ich eigentlich möchte. An vielen Stellen will man verweilen und die Massivität der Gesteine bewundern. Überall sind Felsen rausgebrochen und der Canyon ist ausgewaschen auf eine Art, wie ich es so noch nirgends gesehen habe. Es ist wirklich wahnsinnig schön dort mit dem roten Gestein. Es ist nur das Plätschern des Flusses zu sehen, mehr Geräusche sind hier unten nicht zu hören.
Hinter der Confluence schlage ich auf einem angeschwemmten Sandhaufen mein Lager auf. Die Sonne senkt sich und es wird schnell dämmrig im Canyon. Immerhin sind im Paria Canyon immer 15° weniger als obehalb. Man läuft permanent in einem Loch circa 15-20m unterhalb der Oberfläche.
Ich weiß nicht, wie oft ich den Fluss durchquere, aber es sind hunterte Male. Er meandert durch das Gestein, wo es gerade nachgibt. Das Resultat sind gigantische Hallen, die der Fluss sich ins Gestein schneidet und die als Überhang irgendwann einstürzen. Vorher bieten sie ein imposantes Schauspiel.
Quellen gibt es immer wieder am Paria River. Man muss sie eigentlich nur finden. Manchmal hört man sie, manchmal sieht man sie, manchmal muss man allerdings auch die Karte nutzen. Es gibt auch Quellen, die nur manchmal aktiv sind. Daher sollte die Wasserplanung wirklich sauber sein, da man sonst in Verlegenheit gerät und den Paria filtern muss. Das gönne ich niemandem und auch nicht dem Wasserfilter.
Es geht immer weiter den Fluss hinunter, durch die Erdgeschichte. Die Formationen sind nach den First Nations benannt, die hier schon seit Jahrtausenden durch die Wüste streifen. Es gab in dieser Trockenheit immer Menschen und wenn man genau hinschaut, dann ist es auch gar nicht so trocken, wie man denkt.
Je weiter man den Canyon durchläuft, desto breiter wird er. Da die meisten nur bis zur Confluence laufen und dann umkehren oder durch den Buckskin laufen, sehe ich keinen Menschen. Die Mauern öffnen sich und ragen hoch hinaus. Es ist ein Schauspiel von unglaublicher Kraft und Farbe.
Die Landschaft ändert sich permanent, ich komme von über 1000m Höhe hinunter zum Colorado, der sich am Mund des Canyon dahinwindet durch die rote Staubigkeit. Der Paria Canyon öffnet sich immer weiter.
Die zweite Nacht beschließe ich auf eine Anhöhe, nachdem ich vorher eine Weile die letzte Quelle gesucht habe. Ich hörte sie, nach der Karte musste sie dort sein, aber ich konnte sie nicht sehen. Sie lag tief verborgen im Gestrüpp.
Der letzte Tag hat keine Wasserquelle mehr auf dem Weg. Ich muss also alles Wasser mitnehmen zum Ende. 4l sollten reichen. Nun öffnet sich der Canyon vollends und wird zu einem Tal. Der Weg geht ebenfalls nicht mehr nur am Fluss entlang. Zum ersten Mal seit 2 Tagen trocknen meine Füße wieder. Die Neoprensocken erweisen sich als wirklich tauglich für diese Art von Wanderung. Sie halten warm, auch wenn morgens Frost herrscht und der Fluss auch nicht warm ist.
Ich peile 17 Uhr an für den Exit am Colorado. Auf mich warten meine Freunde und wir verbringen noch eine Nacht am dort liegenden Campingplatz Lee's Ferry Campground. Zügig marschiere ich durch. Ich mache kaum Pausen. Manchmal versinke ich im Fluss, trockne aber schnell wieder.
Am Ende des Canyons liegt eine alte Farm, die ich mir noch genauer anschaue. Hier treffe ich auch die ersten Menschen, die eine Tageswanderung machen. Sie sind fasziniert davon, wie man 3 Tage in dem Canyon verbringen kann. Ich auch.
Etwa 40 Minuten von Berlin befindet sich, wie so oft, ein ehemaliges sowjetisches Militärgebiet. Da in etwa 10 % des damaligen DDR Gebietes Sperrgebiet waren, so ist die Wahrscheinlichkeit auf ein solches zu treffen, nicht gering. So auch an diesem Wintermorgen. Im Zug nach Treuenbrietzen will ich von Osten her über das Naturschutzgebiet an der Zarth auf den ehemaligen Truppenübungsplatz Jüterbog. Dort will ich mal wieder übernachten und bei der Eiseskälte dem Sturm lauschen. Hier befindet sich auch Deutschlands größte Wanderdüne.
Hinter Treuenbrietzen weht ein eisiger Wind. Es ist zu dem Zeitpunkt circa -6° kalt und ich bin froh, diesmal meinen Parka mit Fellkapuze mitgenommen zu haben. Darunter trage ich dicke Merinounterwäsche und eine Wollstrickjacke. Ich merke nichts von der Kälte. Schnell stapfe ich die Straße entlang und komme durch Pechüle, einem kleinen Dorf mit einem merkwürdigen Namen. Hier gibt es nicht viel und auf der Straße habe ich auch niemanden gesehen. Direkt hinter dem Dorf begegne ich Reiterinnen, die die Abgeschiedenheit und die Weite der Landschaft ebenfalls genießen.
Hinter dem Dorf begegne ich dann einem älteren Mann mit einem Rottweiler, der hier geboren ist und sein Leben neben dem riesigen Sperrgebiet verbracht hat. Er erzählt von den sowjetischen Soldaten, mit denen er Handel trieb und die, als es zu Ende ging, auf Beutezüge durch Brandenburg zogen, alles mitnahmen, was nicht festgewachsen war. Nach der Wende siedelten sich im benachbarten Ort Altes Lager viele Aussiedler an, vielleicht aus Tradition, denn viele hatten hier lange gedient in der Gegend. Der Mann meint, dass heute der Brennpunkt in Wünsdorf läge. Russen schlagen sich oft mit Asyleinwanderern, meinte er. Aber vor den Russen hätten sie Respekt, anders als vor Deutschen, die wenig vernetzt wären. Er empfiehlt mir, im alten Bunker zu schlafen, da es doch draußen viel zu kalt wäre. Mal schauen. Ich will auf jeden Fall in den Bunker. Später stellt sich dann heraus, dass er wenig spektakülär ist. In den Ritzen schlafen Fledermäuse. Um sie nicht zu stören, haue ich auch schnell wieder ab.
Jetzt beginnt die Heide. Überall ist die Landschaft zerwühlt. Der Wind frischt auf und die Bäume wallen hin und her. Erst will ich mitten unter einem Baum zelten, ein wenig weiter bricht dann jedoch ein großer Ast runter. Da beschließe ich dann doch in die lichten Birkenwälder zu gehen und dort zu bleiben. Der Wind ist mittlerweile einfach zu stark und es ist zu gefährlich. Mittlerweile wird es auch deutlich kälter.
Endlich bietet sich ein wunderschöner Platz:
Der Hobokocher wird angeworfen und ich koche noch eine Suppe und einen Tee. Danach würfele ich mich ein meinen Schlafsack. Die Windstöße gehen im Wald umher und wandern. Ich kann es genau wahrnehmen. Alle 20 Sekunden rüttelt der Wind am Zelt, dann wandert er wieder in die Ferne. Das geht so weiter, bis ich kurz darauf einschlafe. Ich wache auch erst am nächsten Morgen wieder auf. Von der Umgebung merke ich nachts wenig. Morgens als ich aufwache, rennt neben mir irgendetwas weg. Wahrscheinlich ein Fuchs, oder ein Marder...
Der kommende Tag ist sonnig aber bitterkalt. Es weht immernoch ein eisiger wind. Ich habe mit Freunden und Familie einen Treffpunkt ausgemacht. Hier treffen wir uns um gemeinsam die Wanderdüne zu erkunden. Es wird ein sehr schöner Tag.
Es ist schon lange her, dass an einem Sonntagmorgen bei uns um sechs der Wecker geklingelt hat. Umso mehr Willenskraft müssen wir aufbringen, um dem Ruf der Wildnis wirklich zu folgen und aus dem Bett zu springen. In Windeseile - denn wir haben nur 40 Minuten bis unser Zug abfährt - verpacken wir uns wintertauglich, füllen eine Thermoskanne mit dampfendem schwarzen Tee mit Zitrone und rasen mit den Rädern zum Bahnhof. Es sind es -2 Grad.
Früher waren wir die Einzigen in den regionalen Zügen und Bussen, die uns morgens hinaus in die Brandenburgische Weite tragen. Heute sind wir unterwegs mit etwa 15 Afrikanern. Männer von kleiner Statur in Anzügen und Frauen mit weißen, locker über den Kopf geworfenen Tüchern und Kinderwägen. An jedem Halt werden es mehr. Als wir in Neuruppin ein letztes Mal umsteigen, ist es bereits eine beeindruckend große Gruppe. Wir fragen uns, wo sie um diese Zeit bloß alle hinwollen. Sie weichen unseren Blicken aus. Vielleicht, weil sie es leid sind, immer angestarrt zu werden. Einer der Männer, die hinter Daniel sitzen, spricht plötzlich ein paar Sätze auf Deutsch. "Oh, das ist gemütlich hier" sagt er zu seinen Freunden. Und: "Ich bin sehr müde". Ich interpretiere es als Geste, auch wenn keiner von ihnen in unsere Richtung schaut. Sie sind mir gleich ein bisschen weniger fremd.
An der Bushaltestelle im ausgestorbenen Lindow (Mark) beginnt unsere Wanderung. Nur 15 Kilometer sind es von hier bis nach Gransee. Perfekt für einen Wintertag, an man man im Wettlauf mit dem schwindenden Tageslicht steht.
Am Wutzsee laufen wir am südlichen Seeufer in Richtung Meseberg. Außer zwei älteren Herren, die wir auf ihrem gemächlichen Spaziergang überholen, ist es menschenleer und saukalt.
Wir lassen den Uferweg hinter uns und folgen dem Wanderweg in den Wald. Mit durchdringendem Gekrächze scheinen sich die Krähen gegenseitig auf die zwei Eindringlinge aufmerksam zu machen. Sie kreisen über einem verlandeten See, in dessen Nähe ich etwas entdecke. Es sieht aus wie ein Steinzeitwerkzeug. Ein behauener kleiner Stein mit scharfen Kanten. Ich stecke ihn vorsichtshalber ein, man weiß ja nie. Parallel zu unserem Weg verläuft ein kleines Fließ, das den Wutzsee und den Huwenowsee verbindet. Während wir laufen, bin ich in Gedanken bei den Steinzeitmenschen.
Am östlichen Ufer des Huwenowsees liegt das Barockschloss Meseberg. Strahlend schön, aber unerreichbar hinter hohen Zäunen. Das Schloss ist das offizielle Gästehaus der Bundesregierung und gut bewacht. Zum Glück ist das Restaurant daneben auch dem Fußvolk zugänglich und so lassen wir uns dort auf einen Teller Soljanka und ein Stück spanischen Apfelkuchen nieder. Über uns an der Wand hängt ein Foto von Angela Merkel, das sie bei einem Besuch im "Schlosswirt" zeigt. Man muss eben mit dem arbeiten, was man hat.
Nach Gransee sind es noch 5 Kilometer durch Feld und Forst. Kurz vor dem Ziel entdecken wir am Weg einen alten Gutshof, der mit seinen beiden verwitterten Mauern, zwischen denen das Eingangstor fehlt, wirkt als wäre die Vergangenheit hier noch nicht abgeschlossen. Und tatsächlich hat der Hof eine dunkle Geschichte, wie wir auf dem Schild am Eingang lesen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts gründeten die Töchter der großbürgerlichen, jüdischen Familie Veit Simon hier ein Obstgut. Katharina führte den Hof, ihre Schwester Eva lebte als Malerin bei ihr im Haus. Es muss eine schöne Zeit für die Schwestern gewesen sein, inmitten der Wälder, Seen und Streuobstwiesen. 1938 ist sie jedoch vorbei. Sie müssen das Gut verkaufen und werden in ein Konzentrationslager deportiert, das sie nicht wieder lebend verlassen. Der Katharinenhof wird viele Jahre später wieder als Gärtnerei genutzt, dann an die Erbengemeinschaft Veit Simon rückübertragen. Er steht lange leer, bevor er 2008 von zwei Berliner Familien gekauft und restauriert wird. So entkommt er dem Verfall und bewahrt weiter die Erinnerung an die zwei jungen Frauen, die hier aus dem Leben gerissen wurden.
Am späten Nachmittag erreichen wir Gransee. Die Sonne scheint und trotz Minusgraden überkommt uns ein Gefühl jauchzender Sommerfrische. Wahrscheinlich, weil dieser Ort mit so vielen schönen Erinnerungen aus unzähligen Fahrrad- und Wandertouren verbunden ist. Mit einem Eis in der Hand steigen wir auf den Turm des Stadttors, für den man sich im Heimatmuseum den Schlüssel holen kann. Ein letztes Foto, dann machen wir uns auf den Rückweg in unsere Winterresidenz in der Fregestraße.
Etappe 3:
Am 1.Mai-Wochenende kehren wir nach Templin zurück und knöpfen uns die nächsten Etappen der Uckermärker Landrunde vor: zuerst 37 km nach Boitzenburg, übernachten im Schloss und dann 25 km weiter nach Prenzlau. Als wir losgehen, ist es mal wieder saukalt und es dauert natürlich nicht lange, bis der erste Regenschauer auf uns niederprasselt. Sonne und Regen werden sich den ganzen Tag im 30-Minuten-Takt ablösen, aber in unseren versnobbten, teuren Outdoor-Klamotten merken wir das kaum. Es wird eine großartige Wanderetappe durch Kiefernwälder, Feldraine und kleine Moore. Und die 37 km vergehen wie im Flug, oder besser gesagt im landrauschen.
In Templin stellen wir unser Auto am Busbahnhof ab und gehen die Bahnhofsstraße in Richung Ortsausgang. Rechts abbiegen und die Schillerstraße runter, dann kommt eine kleine Brücke über den Templiner Kanal und es wird grün. Ab hier ist die Uckermärker Landrunde ausgeschildert und der rote Punkt ist in so dichten Abständen gesetzt, dass man sich auch ohne GPS nicht verlaufen kann. In den Hecken am Wiesenrand hören wir wie zur Begrüßung den lauten Gesang der Nachtigallen, während sich über uns die erste dunkle Wolkenfront auftürmt.
Kurz vor dem ehemaligen Gutsdorf Alt-Placht lichtet sich der Wald. Wir laufen durch eine Allee und sehen die kleine Fachwerkkirche näherkommen, die wir schon von früheren Touren kennen.
Es ist, als ob hier die Zeit stehengeblieben wäre. Umgeben von einer Feldsteinmauer und knorrigen, mehr als 500 Jahre alten Linden schaut das "Kirchlein im Grünen" von seiner kleinen Anhöhe herab in die Welt und strahlt eine unglaubliche Kraft aus. Vor mehr als 300 Jahren wurde die Gutskapelle im Stil nordfranzösischer Fachwerkbauten gebaut. Heute ist sie ein einzigartiges Zeitzeugnis für die hugenottische Besiedlungsgeschichte Brandenburgs im 17. Jahrhundert. Das wusste man jedoch nicht immer zu schätzen: Zu DDR Zeiten wäre es fast vorbei gewesen mit der Kirche. Bis zu den Türschlössern wurde alles geklaut, die Kapelle verfiel, niemand kümmerte sich. Erst nach dem Fall der Mauer gründete sich ein Förderverein und das heutige Denkmal wurde mit viel Liebe bis ins letzte Detail restauriert.
Kurz hinter Alt-Placht führt der Weg am Glambecksee vorbei. Wie man auf einer Ufertafel erfährt, gehört dieser kleine, glasklare See zu den wertvollsten Seen der Uckermark. Im Sommer hat das Wasser eine Sichttiefe von bis zu 4 Metern - ein Zeichen dafür, dass der See besonders sauber und nährstoffarm ist. Er ist Heimat für seltene Wasserpflanzen, wie verschiedene Armleuchteralgenarten. Angeln und Baden ist hier trotzdem erlaubt. Allerdings nur in der Nordbucht.
Wir kommen durch den kleinen Ort Gandenitz und laufen dann noch ein gutes Stück durch den Wald, bis wir nach Warthe und zum Großen Warthesee gelangen. Am Großen Warthesee gibt es eine Badestelle mit aufgeschüttetem Sandstrand und einem Sprungturm. Der Wanderweg führt am Ostufer des Sees entlang. Wir sehen einen Mann, der gerade mit seinem kleinen Sohn an einem Holzfloss bastelt. Er erzählt, dass er und seine Frau das Feriengrundstück einer Freundin nutzen dürfen. Für einen Urlaub weiter weg fehlt ihnen mit ihren vier Kindern das Geld. So schön wie sie es hier haben, stört sie das allerdings auch nicht.
Wir laufen durch staubige Äcker und genießen den Blick auf die schweren Wolken, die sich im harten Sonnenlicht dramatisch über die Moränenhügel schieben. Es ist schon nach 17 Uhr und wir haben jetzt Zeitdruck. Anreise auf Schloss Boitzenburg ist bis acht und es liegen noch etwa 12 km vor uns. Ensprechend schnellen Schrittes sind wir nun unterwegs. Im Wald fällt das Abendlicht auf die kleinen Tümpel und Sümpfe. Immer wieder ein Blick auf die Uhr. Kurz vor Boitzenburg - das Schloss haben wir schon durch die Bäume gesehen - entdecken wir etwa zweihundert Meter vor uns einen Hasen auf dem Weg. Doch passend zur märchenhaften Landschaft, rennt dieser Hase nicht vor uns davon, sondern direkt auf uns zu. Einige Meter vor uns bleibt er stehen und scheint kurz nachzudenken. Er setzt sich, reibt seine langen Vorderpfoten, und schwupps rennt er in die entgegengesetzte Richtung davon.
Kurz vor acht erreichen wir endlich das Schloss und laden unsere Rucksäcke in unserem Zimmer in der "Dependance" ab. Die Depandance ist eigentlich ein Plattenbau aus DDR Zeiten, direkt gegenüber vom Schloss. Hier bekommt man für 40 Euro ein einfaches Doppelzimmer mit Frühstück. Das Gebäude ist schon etwas runtergerockt, aber die Zimmer sind sauber und für eine Nacht völlig ok. Das Frühstück am nächsten Morgen ist sogar richtig toll. Man speist in einem großen Saal im Schloss. Am Büffet gibt es frischen grünen Salat, Tomaten, Rührei mit Speck, Körnerbrötchen, eine große Auswahl an Marmelade, Käse und Wurst, Frühstücksflocken, Orangensaft und und und. Und auch die Mitarbeiter waren alle extrem - ich würde sagen für Brandenburg sogar ungewohnt - freundlich. Wer abends noch im Schloss essen möchte, sollte einplanen, dass die Küche nur bis 19:30 Uhr und das Restaurant um 20 Uhr schließt. Um die Zeit hat sonst nur noch der Gasthof zum grünen Baum geöffnet, wo wir glücklicherweise noch einen Tisch bekommen haben.
Nachdem die Dame an der Schlossrezeption uns mit dem Warnung losgeschickt hatte, die Küche im Gasthof sei etwas "alternativ", waren wir dann umso positiver überrascht. Man findet hier zwar nicht das klassische Schnitzel mit Pommes, dafür aber viele interessante Gerichte. Was man in Kauf nehmen muss, ist die lange Wartezeit aufs Essen. Wir haben etwas mehr als eine Stunde gewartet, bekamen dafür aber einen unglaublich leckeren Gruß aus der Küche: Selbstgebackenes Brot mit Kresse, Giersch-Pesto und einem Spargel-Erdbeer-Salat. Auch die Burger, die wir bestellt hatten, waren sehr gut.
Wer es bodenständiger mag, dem empfehle ich das Wirtshaus zur Klostermühle. Hier gibts klassische Gerichte und das Essen ist etwas günstiger als im Gasthof zum grünen Baum. Letztes Jahr habe ich dort ein sehr gutes Rehragout mit selbstgemachten Spätzle gegessen. Und wenn man schon mal da ist, sollte man auf jeden Fall die alte Museumsmühle nebenan anschauen. Dank der Sammelleidenschaft des letzten Müllers ist die Mühle mitsamt der ganzen Mühlentechnik noch vollständig erhalten. Achtung: Restaurant und Mühle haben nur bis 17 Uhr geöffnet.
Nach einem lustigen Abend im gut gefüllten Restaurant des Gasthof zum grünen Baum, setzen wir am Ostersonntag unsere Wanderung fort. Wir gehen die Dorfstraße entlang und überqueren die Bahngleise. Der Weg führt über eine große Wiese in den Wald. Es regnet, es ist kalt und wir sind die einzigen, die jetzt durchs Land streifen.
Nicht weit von Ringenwalde kommen wir mitten im Wald an einem alten Steinbruch vorbei. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die "Feldsteinpackung" zugunsten ergiebigerer Gebiete am Werbellinsee aufgegeben. Überall liegen Steine herum. Auch die mehr als 100 Meter lange Bruchkante ist unter dem Laub noch zu erahnen. Wir wandern weiter und kommen in den winzigen Ort Libbesicke - eine Lichtung im Wald mit nicht mehr als 6 Häusern. Davon die meisten private Ferienhäuser. Ein Auto parkt auf der Wiese am Dorfeingang. Ein älter Mann, der eben noch etwas vor seinem Grundstück zu tun hatte, verschwindet schnell wieder hinter dem hohen, blickdichten Zaun. Wie hat Daniel es so treffend gesagt: Wenn noch mal die Pest in Deutschland ausbrechen sollte, bist du in Libbesicke sicher. Ein vergessener Ort.
Ganz in der Nähe liegt der Libbesicke See. Wir verlassen den Wanderweg für ein Stück, um am Seeufer weiterzugehen. So wenig ausgetreten wie der Uferweg ist, scheinen auch im Sommer kaum Leute hier zu sein. Dabei ist es ein herrlicher See zum baden. Wir gehen weiter in Richtung Lübelowsee. Kurz vor Ahlimbsmühle steigt der Weg an und durch den Kiefernwald sehen wir eine riesige Wüstenlandschaft. Trotz des heftigen Regengusses wollen wir wissen, was man hier mit einem so hohen Elekrozaun gesichert hat. Wir zweigen ab und gehen am Zaun entlang, bis wir eine Infotafel sehen. Aha, nur eine Sandgrube, die renaturiert wird. Ein Schwanenpaar ist hier schon heimisch geworden und zieht aufgeregt Kreise um sein Nest. Wir überqueren die Hauptstraße in Ahlimbsmühle und sind gleich wieder raus aus dem Ort.
Die letzte Etappe des Weges führt uns durch einige Siedlungen - Großer Eichwerder, Kleiner Eichwerder, Petersdorfer Siedlung - alle direkt am Lübesee oder nicht weit davon entfernt. Der Lübbesee hat eine sehr gute Wasserqualität. Wahrscheinlich auch, weil er nur von Booten mit Elektromotor befahren werden darf. Wir kommen an wunderschönen Häusern vorbei, von alten Seevillen bis zu Ferienhäusern im Bauhausstil ist alles dabei. Die Stege sind fast alle privat und abgesperrt, doch ab und zu kann man auch ganz offiziell ans Wasser. Nach einer sehr langen Strecke am Ufer entlang, führt der Weg in ein Waldstück. Menschen mit Hunden kommen uns entgegen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir schon fast in der Stadt sind. In Templin verlassen wir die Uckermärker Landrunde voerst - durchgefroren, aber glücklich - und freuen uns auf wärmeres Wetter für die nächsten Etappen.
Die Uckermark wird auch die Toskana Deutschlands genannt. Aber eigentlich hat sie ihre ganz eigene Schönheit. Für mich ist sie mit ihrer sanft hügeligen Landschaft und ihrem endlos weiten Himmel in jedem Fall einer der schönsten Orte, an denen ich bisher gewesen bin. Wer hier wandert, trifft auf dichte Kiefern- und lichte Buchenwälder, ausgedehnte Felder, glasklare Seen und kleine Dörfer. Oft kann man den ganzen Tag lang laufen, ohne einem Menschen zu begegnen.
Von den vielen ausgeschilderten Wegen durch die Uckermark ist die Uckermärker Landrunde sicher der längste. In 6 Tagesetappen führt der gut 160 Kilometer lange Rundwanderweg durch das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und den Naturpark Uckermärkische Seen. Die Kilometeranzahl steigert sich von der ersten Etappe mit 15 Kilometern auf 37 Kilometer bei der letzten Etappe. Wir haben die Wanderung am verlängerten Osterwochenende begonnen und wegen des kühlen Aprilwetters erst mal nur 2 Etappen gemacht – an zwei Tagen mit einer Übernachtung. Der Einstieg ist überall möglich, wir sind in Angermünde gestartet.
Wir wechseln durch die Bahnhofsunterführung auf die andere Seite der Gleise, gehen durch das Neubaugebiet und sind in weniger als 10 Minuten raus aus der Stadt und mitten in der Natur. Durch den Wald gelangen wir an den Wolletzsee. Rechts von uns befindet sich der kleine Ort Wolletz, von dem wir vom Ufer aus Teile der Rehaklinik und eine Restaurantterasse mit Ausblick auf den See sehen. Jetzt – bei 10 Grad – steht hier allerdings nur ein fröstelnder Raucher. Wir verlassen Wolletz in Richtung Peetzig. Kurz vor Peetzig lichtet sich die Landschaft und wir wandern auf Sandwegen durch Wiesen und Felder. Links von uns liegt ein kleiner See. Wir biegen kurz ab und finden dort eine kleine Badestelle, an der man im Sommer direkt in den See springen könnte. Bevor es in den Ort geht, biegt der Weg nach links in Richtung Poratz ab. Von weitem sehen wir am Waldrand eine Herde Damwild. Als wir näher kommen, galoppieren sie mit leuchtend weißen Hinterteilen davon.
Wir wandern weiter durch den Kiefernwald und gehen durch eine Unterführung unter der Autobahn hindurch. Bis auf die paar Meter vor und nach der Autobahn sind keine Straßen in der Nähe und man hört nichts als das Gezwitscher der Vögel und das Knarren halb umgestürzter Kiefern. Als wir in das kleine ehemalige Köhlerdorf Poratz kommen, sind wir überrascht: So ein unfassbar schönes Fachwerkdorf haben wir in diesem dichten Wald nicht erwartet. Die Kennzeichen der Autos vor den restaurierten alten Häusern sind für uns jedoch keine Überraschung: fast alles Berliner, die sich hier ihren Traum vom Wochenendhaus in der Uckermark verwirklicht haben. Nach der Wende gab es hier wie überall in der DDR einen richtigen Ausverkauf – wer schlau war, sicherte sich damals fürn Appel undn Ei eines der historischen Häuser in den verwunschenen Uckermark-Dörfern.
Von Poratz sind es noch etwa 5 Kilometer bis nach Ringenwalde, wo wir ein Zimmer im Landgasthof zum Grünen Baum reseviert haben. Für 55 Euro die Nacht mit Frühstück. Während der Himmel den ganzen Tag über nur mit schwarzen Wolken gedroht hatte, beginnt es nun leicht zu regnen. Die letzten Kilometer sind bekanntlich die schwersten und so schleppen wir unsere schmerzenden Füße über die alte Kopfsteinstraße. Im Gasthof angekommen werden wir sehr freundlich empfangen und fühlen uns auf Anhieb wohl. Das Zimmer ist für den Preis ok. Wer etwas höhere Ansprüche an die Unterkunft stellt, findet im Ort wahrscheinlich schönere, aber auch teurere Unterkünfte. Zum Beispiel über AirBnB. Ein Besuch im Gasthof lohnt sich auf jeden Fall. Die Küche ist regional und saisonal und hat es in den Slow Food Genussführer 2017 geschafft. Wir haben beide ein riesiges Schnitzel vom Brandenburger Molkeschwein gegessen, dazu Spargel und Bratkartoffeln. Ein Tipp: Das Restaurant ist klein und an Wochenenden und Feiertagen ziemlich gut besucht. Eine Reservierung lohnt sich in jedem Fall.
Nicht oft findet man in der brandenburgischen Tiefebene so eine schöne Winterlandschaft vor, wie sie bei dieser Wanderung zu bestaunen war. Die Seen waren zugefroren und das Land von Schnee bedeckt. Der eigentliche 66-Seen Weg ist etwas länger als diese Tour, allerdings sind die Tage im Januar recht kurz für über 30km, die mit der vollen Tour am Ende zusammenkommen. Wir haben die Tour ein wenig abgekürzt und landeten bei 28km. Genau richtig um mit Einbruch der Dunkelheit in Halbe anzukommen.
Mit dem Regionalexpress fahren wir von Berlin in aller Frühe Richtung Süden. Unser Ziel: Wünsdorf Waldstadt. Wünsdorf ist übersät mit Relikten der sowjetischen Besatzung, denen man am Wegesrand teilweise begegnet. Die Tour biegt allerdings Richtung Wünsdorfer See ab. Es geht vorbei an Einfamilienhäusern, Villen und Brachgrundstücken. Doch auch hier verschwinden diese allmählich. Vor kurzer Zeit gab es noch ein verlassenes DDR Hotel direkt am See. Weiter geht's Richtung Bahndamm, der an einer Stelle überschritten wird. Durch einen Zaun geht es dann auf dem Lindenbrücker Weg durch den Wald. Wir kommen zum Wolziger See. Eine unglaubliche Stille liegt jetzt über diesem Landstrich. Es beginnt zu schneien. Nachdem wir an Lindenbrück vorbeigekommen sind, geht's durch Felder und Wälder bis nach Zesch am See. Ich stelle mir vor, wie wir hier im Sommer geschwommen sind. Während ich an das erfrischende, flaschengrüne Wasser denke, schneit es noch heftiger. Wir laufen jetzt durch Kiefernwald.
Jetzt nähern wir uns Teupitz am gleichnamigen See. Der Teupitzer See ist ein Moorsee und im Sommer schlammig. Trotzdem eignet er sich perfekt zum Schwimmen. Man kann hier auch eine Kayaktour in die nördlich gelegenen Dahmeseen starten. Der Schnee fällt dicht und man kann, wenn man auf den See blickt, nichts sehen, außer dem Weiß der Flocken. Ein kurzer Stop zum Fotos machen. Dann geht es weiter Richtung Tornow am „Wirtshaus zur Mittelmühle" vorbei. Im Sommer sicher eine nette Einkehrmöglichkeit. Vom Biergarten blickt man auf den kleinen See. Man kann die Tour hier auch verlängern, indem man nach Teupitz reinwandert. Dort gibt es einen Fischer, bei dem man geräucherte Aale und Forellen bekommt. Auch eine historische Kirche und ein altes Schloss in privater Hand gibt es zu sehen. Oder die Landeskliniken Teupitz, die immernoch zu großen Teilen leerstehen seit die Sowjets abgezogen sind. Ihr Wasserturm ist weithin sichtbar.
Wir lassen Teupitz aus und gehen über ein Feld direkt zum Tornower See, auf dem schon ein Eisfischer sein Glück sucht. Eigentlich trägt das Eis noch nicht. Ein Test der Eisdecke lässt nichts Gutes vermuten. Aber der Mann auf dem See sieht das anders. Die Sonne kommt raus und der Schneesturm hört auf. Nach dem wir den Tornower See umrundet haben, geht`s durch Tornow, wieder über Felder und dann in den Wald. Es folgen noch etwa 10km Waldwege, eine Autobahnquerung der A13 und ein märchenhafter, verschneiter Waldweg bis nach Halbe. Wer dem Track bis über die Autobahn folgt, muss durch die kleine Tür bei der Brücke durch den Wildzaun und dann hoch zur Brücke.
Vor Halbe kommt man noch an einer festungsartigen Fabrik vorbei, die sich als Logistikzentrum von Thomas Philipps entpuppt. Es ist Teil eines großen Gewerbegebietes - genannt Halbe, Sonnenallee, das sicherlich auf Grund der guten Autobahnanbindung und der Wirtschaftsförderung in diesem arbeitsplatzarmen Gebiet entstanden ist. Die Tafeln sind alle auf Deutsch und auf Polnisch. Wahrscheinlich zieht es auch viele Arbeiter aus Polen her. Es ist jedenfalls noch viel Platz in der Sonnenallee Halbe. Hier zu wohnen stelle ich mir angenehm vor, wenn man die Ruhe dem städtischen Gesäusel vorzieht. Es ist mittlerweile dunkel. Wir haben noch 2km bis zum Bahnhof vor uns. Nach insgesamt 28 km heute sehen wir ihn dann. Es ist ein Kaiserbahnhof aus dem Jahre 1865 mit einem opulenten Empfangsgebäude, damals noch erbaut für die preußischen Könige. Von hier geht's zurück nach Berlin.