Die Wettervorhersage für den Juni ist drückend heiß. Es sind in der Spitze bis zu 38 Grad vorhergesagt. Wir nehmen den Zug von Berlin nach Frankfurt an der Oder. Wir haben am ersten Tag einen See im Sinn, an dem wir übernachten wollen. Er heißt Jezioro Wielkie. Ausgerüstet mit Mountain Bikes und dicken Reifen haben wir uns eine Tour durch das Deutsch-Polnische Grenzland erdacht, die teils durch unwegsames Gebiet, seltener auf Straßen oder durch kleine Dörfer und liebliche Landschaften führt. Vorher müssen wir noch mit einer kleinen Autofähre über die Warte übersetzen. Leider stellt sich heraus, dass wir bereits zu spät an der Warte ankommen und an einer verwaisten Autofähre in Woxholländer erstmal warten, um dann später über eine 15km entfernte Brücke übersetzen zu können.
Wir passieren einen Landstrich, der zu deutscher Zeit Wartebruch hieß und Ortschaftsnamen wie Ceylon, Jamaika, Hampshire, Pensilvanien, Saratoga, aber auch Neu-Dresden oder Stuttgardt aufwies. Die Namen gehen auf die Kolonisation dieser sumpfigen Gegend im 18. Jh. zurück, als Friedrich II. befahl, das Land, ähnlich wie im Oderbruch urbar zu machen und trockenzulegen.
Der See Jeziero Wielkie (Großer See) ist im Sommer von vielen Wildcampern belagert. Es ist auch kein Problem, mit großen Feuern dort zu hantieren, wie die Einheimischen demonstrieren. Teilweise herrscht regelrechte Zeltplatzatmosphäre ohne Wart. Wir finden dennoch ein lauschiges Plätzchen und können an einem wunderbaren kleineren See die Nacht verbringen.
Am nächsten Tag brennt die Sonne weiter unaufhaltsam auf das schon ausgetrocknete Land. Zum Glück haben wir genügend Wasser dabei, denn es wird schnell über 30 Grad warm.
Weiter geht es durch Ortschaften wie Lindwerder, Wusterwitz, Gut Ringenwalde. Die Seen sind zahlreich, aber sie sind alle recht flach und laden in der Mehrzahl nicht zum Baden ein. Viele der in den alten Karten verzeichneten Seen sind bereits verlandet. Es ist spannend zu sehen, wie die Wege und die Landschaft sich innerhalb von 3 Generationen verändern.
Auf der Suche nach einem schönen Lagerplatz kommen wir nach Warnitz an den Warnitzer See. Leider wimmelt es von Mücken. Wir finden eine Landzunge mit einem Steg und springen ins Wasser. Wunderbar fühlt sich das an, nachdem die Hitze des Tages uns mächtig zugesetzt hat. Auch ein Tisch hat sich am See angesiedelt und dient uns als Brotpodest für ein zünftiges Abendessen.
Der dritte Tag soll uns einen Wetterumschwung mit Gewittern und Regen bringen. Die Vorhersage passt. Es kommt ein phänomenaler Temperatursturz. Binnen weniger Stunden ist es nur noch um 23° warm von vorher über 30°. Dies passierte vorerst ohne Gewitter und Blitze. Die kamen jedoch noch später dazu.
Wir passieren am letzten vollen Tag Warnitz, Schmarfendorf, Blankenfelde und das pittoreske Mohrin, eine mittelalterliche Stadt mit belebter Vergangenheit. Diese ist immer eine Reise wert, allein auf Grund ihrer frühzeitlichen Burganlage, sowie des eingehegten Charakters der Innenstadt.
Wir finden überraschenderweise auf der Suche nach einem Schlafplatz noch einen See, der niemandem aufgefallen ist, über den man auch keinerlei Informationen findet. Er befindet sich im ehemaligen Staatsforst Alt-Lietzegöricke und heißt Großer Brachutensee nahe der Schlibbe, einem kleinen Fluss, der in die Oder mündet. Ideal gelegen, abseits aller Ortschaften, mitten im Wald, bietet er sich uns an mit einem wunderschönen Steg ins Wasser. Wir haben mittlerweile Regenwetter und schlagen sodann die Zelte auf. Nachts regnet es dann auch.
Die letzte Etappe führt über Zäckerick, Alt-Rüdnitz, Altcüstrinchen, Niederwutzen und Zehden weiter nach Norden in den königlichen Forst Peetzig. Auch hier gibt es wieder wüst gefallene Gehöfte und tiefe Wälder, die immer hügeliger werden. Hinter Zehden gibt es einen richtigen Anstieg aus dem Oderschwemmland heraus, der fast 50 Meter höher liegt als die Oder selbst. In besagtem Forst überfahre ich fast einen Dachs, der genau vor meinem Rad über den Waldweg rast. Bei Raduhn wird das Land gänzlich bergig. Eine Landschaft, die man in Brandenburg nicht so erwarten würde.
An diesem Tag kommen wir noch in mehrere Wolkenbrüche, die teilweise richtig sintflutartig daherkommen. Die Landschaft atmet nach langer Trockenheit sichtlich auf.
Die letzte Etappe bring, abseits von Nässe und Regen alte Kirchen und eine Eiszeitlandschaft zum Vorschein, die uns dann bis zum Grenzübergang nach Deutschland begleitet.
Die Tour eignet sich, wie immer eher für Leute mit ausgeprägter Toleranz für wilde Gegenden und unwegsames Gelände. Wer auch im Sommer die Abgeschiedenheit liebt, der ist hier wirklich richtig. Die Wälder sind ungestörte Rückzugsorte, es ist möglich an Seen zu übernachten und sich eine ganz eigene Auswahl von kleinen Ortschaften und Städtchen zusammenzustecken. Mohrin sollte dabei als einzige Stadt definitiv nicht fehlen. Das Ganze ist innerhalb einer guten Stunde von Berlin zu erreichen. Kaum Touristen sind dort. Es wird also eine Entdeckung.
Staubige, sandige Pisten und eine Form der Stille, wie man sie nur aus Hochlagen der Alpen kennt zeichnet die Wüste Moab aus. Im Südwesten der USA eröffnete sich mit unserer Tour dort eine völlig neue Landschaftswelt, die wir, leider nur 3 volle Tage lang, auf dem White Rim Trail erfahren wollten.
Der White Rim Trail ist eine Offroadroute, die die meisten Amerikaner eigentlich nur mit entsprechenden motorisierten Fahrzeugen befahren. Ausländische Touristen trifft man kaum. Es gibt mit Fahrzeugen unterstützte und organisierte Touren mit MTB, jedoch wollte ich komplett unabhängig sein und jeden Kilometer aus eigener Kraft erstreiten.
Mit dabei waren circa 25L Wasser pro Person. Wir haben Opulenz groß geschrieben, was sich am Ende auch als richtig herausgestellt hat. Auf der Tour platzte einer der Wasserbehälter, die jeweils eine Gallone, also knapp 4L Wasser unbrauchbar machten. Auf der Route kommt man erst sehr spät an den Green River und dieser ist auch nur bedingt zu genießen, selbst mit gutem Wasserfilter, wie wir ihn hatten.
Schwierig ist es, im Oktober die Permits für Übernachtungen zu bekommen. Die Zeltplätze sind reservierungspflichtig, es gibt einen regelrechten Run darauf. Daher waren wir überglücklich, ein paar dieser Permits zu ergattern. Am Ende stellte sich dann aber heraus, dass unser Zeltplatz offiziell ausgebucht war, wir jedoch völlig allein darauf waren.
Die Route selbst ist eine Rundtour, man braucht also keinen Shuttleservice einzuplanen. Insgesamt sind 3 Tage gut machbar, aber wenn man Zeit haben will, sollte man mindestens 4 Tage einplanen. Das erfordert dann natürlich aber auch mehr Wasser. Sollte man sich jedoch verkalkulieren, helfen einem die doch zahlreichen motorisierten Gefährte weiter. Hier haben wir viel Hilfsbereitschaft erfahren. Man kann also nicht verdursten.
Eine Runde kann man natürlich in beide Richtungen fahren. Wir entschieden uns, die Tour im Uhrzeigersinn zu fahren. Damit hatten wir den hässlichen Teil auf dem Highway 313 an erster Stelle und konnten uns dann über eine Abfahrt über den Shafer Trail freuen. Mineral Bottom ist also unser Startpunkt - es geht erstmal hinauf auf's Plateau.
Nach dem Highway, an dem wir zuvor mit dem Auto Wasser versteckt hatten, das wir danach aufnahmen, ging es also auf die eigentliche Tour.
Die Abfahrt am Shafer Trail war spektakulär. Erfrischend, im Schatten, dann im Wüstensengen. Noch konnten wir einfach rollen, dann aber wurde es heiß und anstrengend. Das erste Highlight ist Musselman Arch, wir finden jedoch, dass eigentlich die Landschaft selbst erstmal Stunden braucht um zu wirken. Am ersten Abend dann der Sternenhimmel, den man nur dort sieht, wo wenig Menschen leuchten.
Beide Tage fasse ich hier zusammen, da die Highlights eigentlich nicht mit vielen Worten zu fassen sind, sondern sich in immer neuen Aussichten und Landschaftsorgien abspielen.
Wir brechen früh auf am zweiten Tag und nutzen das kühle Morgendwetter. Lange dauert es nicht bis in der Wüste die Hitze auf alles niederprasselt. Den Tag über folgen immer weitere Abbrüche vom sogenannten Rim. Wir fahren auf der Canyonkante, woher der Trail auch seinen Namen hat. In den folgenden Bildern sieht man es recht gut.
Nach der zweiten Nacht erwartet uns ein besonderes Schauspiel der Wüstenregionen zu dieses Jahreszeit. Der Sonnenaufgang. Die Tafelberge erscheinen in einem ganz besonderen Licht. Man kann es nicht beschreiben, man muss es erleben.
Das verbindende Element dieser Landschaft sind die immer wieder in neuen Formen auftretenden Abbruchkanten, die sich in verschiedensten Formen dem schwächsten Material folgend überall breitmachen. Dabei entwickelt die Landschaft eine form von Ebenen. Wir bewegten uns eigentlich konstant erst auf der dritten und obersten, dann meistens auf der zweiten Ebene um dann am Schluss hinunter zum Green River zu kommen, der auf der untersten Ebene liegt.
Schlussendlich kommen wir an den Green River hinunter, an dem sich urplötzlich auch die Vegetation wieder völlig anders, inselartig mit dichtem Gestrüpp darstellt. Es ist nicht mehr weit. Vielleicht noch 40km, dann sind wir im Ziel. Dann gibt es Burger...
Bikepacking - dieser Begriff tauchte dieses Jahr zum ersten Mal an meinem Horizont auf. Radreisen mochte ich schon immer, aber das klingt natürlich längst nicht so abenteuerlich. Zusammen mit dem neuen Wort für eine alte Leidenschaft kam die Erkenntnis, dass man mit dem Rad ja auch mal die Welt der asphaltierten Rentnerradwege verlassen könnte.
Dass ich mit meinem 7-Gänge-Rad für Flachlandpioniere noch nicht das richtige Rad für unwegsames Gelände hatte, war mir irgendwas zwischen nicht richtig bewusst und egal. So beschloss ich eine der Touren auf bikepacking.com nachzufahren: Sweet and Sauerland. Daniel war natürlich sofort dabei. 240 km in 3 Tagen. Dieses Tempo wurde von Lothar Linse vorgelegt, von dem der Track kommt. Da die Leute hinter bikepacking.com ziemliche Hardcore-Radler sind, schlug ich noch einen Tag drauf und dachte, das sollte ja dann wohl reichen.
Ein paar Wochen später, standen wir mitten in der reizvoll fremden Landschaft des Hochsauerlands. Wir parkten unseren Vito in Bromskirchen und rollten mit unseren schwer beladenen Rädern los. Es dauerte nur so 20 Minuten bis zum ersten fiesen Anstieg. Ich war noch nie schwer bepackt bergauf gefahren und würde das auch an diesem Tag nicht erleben, denn ich musste schieben. Auch hierfür gibt es im Englischen ein freundlicheres Wort: hike-a-bike. Ich wanderte also schweißtriefend und nach Luft ringend mit meinem Rad bergauf. Ab und zu sah ich Daniel - wie ein fernes Wildtier aufwärts ziehend. Ein Anblick, den ich von nun an jeden Tag haben sollte und der mich an Hunderennen erinnerte, bei denen Hasenattrappen dafür sorgen, dass die Hunde sich ins Zeug legen. Allerdings ohne Aussicht darauf, den Hasen je zu erwischen. Nach einer Stunde, die sich wie eine Tagesetappe anfühlte, kamen diese Hasenattrape und ich oben an. Da wir am frühen Abend erst gestartet waren und es auf der Kuppe des Heidenkopfs neben dem Aussichtsturm eine gute Zeltmöglichkeit gab, errichteten wir unser Lager für die Nacht. Daniel entfachte noch ein kleines Lagerfeuer, ich kredenzte uns aus den mitgebrachten Kühlschrankresten einen sehr leckeren Salat und dann machten wir den Reißverschluss hinter uns zu.
Nach einer herrlich ruhigen Nacht - es sollte die einzige ruhige Nacht auf dieser Reise bleiben - packten wir wieder unsere Fahrräder und warfen aus begründetem Interesse zum ersten Mal einen Blick auf die Höhenmeter der Tour: Es waren 7000. Ich sah Daniel mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Verzweiflung an. Wieso habe ich mir denn das Höhenprofil nicht vorher angesehen? Ich hatte nur auf die Fotos der Tour geachtet und da sah doch alles so gerade aus. Den folgenden Vormittag verbrachte ich damit, mir verschiedene Exitstrategien zu überlegen und das Gebirge und mein Fahrrad zu verfluchen.
Aber abbrechen kam natürlich nicht wirklich in Frage. Wie ich aus Erfahrung weiß, ist Motivation fast genauso viel Wert wie Muskeln. Wir haben für die Tour natürlich nicht 3 Tage gebraucht, wie Lothar Linse und sein kerniger Freund im Flanellhemd. Wir haben 5 Tage gebraucht und das ist mit einem so ungeeigneten Rad wie meinem schon fast wieder Bestleistung. Tatsächlich sah man ansonsten nur Mountainbikes oder sogar E-Mountainbikes. Begegnungen mit anderen Menschen waren auf dieser Tour aber sowieso sehr selten. Wenn es welche gab, dann hatten sie es aber in sich. Einmal hatten wir uns auf dem dem Gaskocher gerade unser Mittagessen warm gemacht, als ein weiß leuchtender Mann mit nichts als Rucksack und Wanderschuhen bekleidet aus dem Dickicht trat. Durch eine Doku im Fernsehen hatte ich schonmal davon gehört, dass es Menschen gibt, die sich im Freien gerne frei machen. Also grüßte ich so, als wäre nichts. Der Mann war sich aber scheinbar sehr wohl seiner Nacktheit bewusst und machte lieber, dass er weiter kam.
Nach 5 Tagen, in denen es ausschließlich hoch und runter ging, in denen wir nachts von aneinanderstoßenden Geweihen, bellenden Füchsen und böllernden Dorfjugendlichen wachgehalten wurden, in denen wir tagsüber von Kyrill geschlagene Aussichtsschneisen genießen und die tiefe Stille einsamer Wälder inhalieren durften, erreichten wir unser Auto in Bromskirchen. Die erste Bikepacking Tour ist geschafft und die nächste schon geplant: 5 Tage White Rim Trail im Südwesten der USA. Daniel wird mir dafür ein neues Prachtrad aufbauen, ein sogenanntes Gravelbike mit ganz vielen Halterungen für Proviant, Wasser und den ganzen Campingkram. Der Rahmen aus Barcelona ist heute angekommen.